Was bedeutet der Klimawandel für das Berner Oberland?

Bierstadt Albert Staubbach Lauterbrunnen

Klimawandel im Oberland: Erneut düstere Szenarien

Interlaken Was bedeutet der Klimawandel für das Berner Oberland? Über diese Frage referierten am Rande der CO2-Konferenz drei renommierte Forscher der Uni Bern. Ihre düsteren Prognosen ergänzten sie mit Appellen an die Wirtschaft.

Der Brünigsaal im Kursaal Interlaken war am Donnerstagabend mit gut 120 Zuhörenden voll besetzt. Das überraschte auch die Veranstalter von der Stiftung Universität und Gesellschaft der Uni Bern und des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung.

Um es vorwegzunehmen: Der Abend geriet zur spannenden und inhaltsreichen Standortbestimmung der Klimaforschung. Und noch besser für das vorwiegend einheimische Publikum: Nebst anderen aktuellen Ereignissen wie etwa dem Bergsturz im bündnerischen Bondo stand explizit das Berner Oberland im Mittelpunkt.

Zerfall von Gletschern

Den Auftakt machte der renommierteste Klimaforscher der Schweiz, Thomas Stocker, mit einer Übersicht über den neusten Bericht des UNO-Klimarates, dem er angehörte. Von 1880 bis heute betrug die durchschnittliche Erwärmung global 0,85 Grad Celsius, in der Schweiz sogar das Doppelte. Und alle drei vergangenen Jahre waren wärmer als je zuvor.

Das führte und führt zu einem massiven Rückzug oder sogar Zerfall von Gletschern, wie Stocker am Beispiel Unterer Grindelwaldgletscher zeigte. Dann die Prognose mit zwei Szenarien: Falls der Mensch nichts dagegen unternehme, steige die Temperatur bis 2100 in der Schweiz nochmals um 5,2 Grad und die Schneegrenze um 870 Meter, bei Einhaltung des Pariser Klima-Abkommens um 3 Grad beziehungsweise um 500 Meter.

Darum, so appellierte der Experte eindringlich, sei dringend zu handeln und die Emission von Kohlendioxid (CO2) aus fossilen Brennstoffen zu reduzieren. Stocker: «Die Zeit drängt.»

Die Fichte als Opfer

Zu den Opfern des Klimawandels gehört laut Martin Grosjean, Direktor des Oeschger-Zentrums, auch die Vegetation, wie er am Beispiel der Fichte erläuterte. «Die Fichte leidet schon heute am meisten unter der Sommertrockenheit. 2060 wird der Fichtenwald zusammenbrechen, wenn wir so weitermachen wie bisher.» Umgekehrt würden exotische Pflanzen und auch der Borkenkäfer sich ausbreiten, da die Anzahl Frosttage abnehme.

«In 50 Jahren hat Grindelwald noch etwa gleich viele Schneetage wie Bern heute», sagte Grosjean. Bis dann würden 90 Prozent des Gletschereises verschwunden sein. So warnte denn auch er davor, nichts zu unternehmen: «Die Kaskade schreitet vorwärts.»

«Vergrauung der Landschaft»

«Wir werden alle Gletscher – heute 7 Prozent der Gesamtfläche des Berner Oberlandes – verlieren, und die frei werdende Fläche wird von Geröll belegt», sagte Rolf Weingartner, Professor für Hydrologie an der Uni Bern. Der Rückzug von Gletschern, Schnee und Permafrost bedrohe auch den Wintertourismus.

Das Skigebiet Kleine Scheidegg beispielsweise sei Ende der 1980er-Jahre noch überhaupt nicht künstlich beschneit worden, 2008 aber zu 20 und heute schon zu 70 Prozent – ein Beleg dafür, dass der Klimawandel bereits stattfinde.

Das Oberland-Ost mit den höher gelegenen Gebieten sei von allen Auswirkungen stärker betroffen als der Westen, hielt Weingartner fest. Und er sprach von einer «Vergrauung der Landschaft», da die Farbe Weiss abnehme und Grün erst mit einer Verzögerung folge – falls überhaupt.

Kritik an der Wirtschaft

Die anschliessende Diskussions- und Fragerunde wurde rege benützt. Dabei wurden auch finanzielle Bedenken geäussert. Aber, so Martin Grosjean: «Aus ökonomischer Sicht ist es sonnenklar, dass man in den Klimaschutz investieren soll.»

Schliesslich appellierten alle drei Referenten dafür, dass das Berner Oberland, dass die ganze Schweiz eine Vorreiterrolle übernehmen soll. Dabei übte Stocker Kritik am seiner Meinung nach unbeweglichen Politikern, am Gewerbeverband und an Economiesuisse. Für Martin Grosjean ist klar: «Wer sich als Erster bewegt, wird als Erster Marktvorteile haben.» (Berner Oberländer)

Kommentar: Das Oberland als Vorreiter?

Unterstützt von höchster politischer Ebene, heisst es nun also: Start frei für das Projekt «Regionaler Klimapfad BE-Ost»!

Zufall ist es nicht, dass ausnahmsweise eine sogenannte Randregion zum Zug kommt, und der Grund ist leider kein positiver: Das Berner Oberland ist von der zunehmenden Erwärmung besonders stark betroffen.

So könnte denn der Klimawandel für das Oberland – neben allen negativen Auswirkungen – auch eine Chance bedeuten. Sogar zwei Chancen: Erstens könnte das Projekt der ganzen Schweiz dienen – und damit zweitens auch dem Oberland selber. Man stelle sich nur schon das lukrative Marketing vor…

Die Vorreiterrolle zu übernehmen, ist also nichts anderes als ein Gebot der Stunde. Beziehungsweise des Jahrhunderts.

Alex Karlen, stv. Chefredaktor «Berner Oberländer».