Müll wird zu Kunst komprimiert

«Der Müll bezahlt seine Entsorgung»: G-Cubes-Initiant Harald Reichenbach mit einem «Abfallwürfel». Bild: zvg

Der Berner Künstler Harald Reichenbach will mit seinem Projekt einen Beitrag leisten zur Lösung des Plastikmüllproblems im Meer. Demnächst bricht er zu einer Weltumseglung auf.

Ein Einmaster ist es, 14,5 Meter lang und 4,3 Meter breit, es gibt drei Doppelkojen, die Schlafplätze für sechs Personen bieten. «Es wird schon sehr eng werden», sagt Harald Reichenbach, «besonders wenn wir dann mit Vorräten und Trinkwasser auf dem Pazifik länger unterwegs sind.» Dieses Schiff ist aber nicht nur Fortbewegungsmittel und Wohnraum, es dient während 15 Monaten auch als Werkstatt und Lager.

Die letzten drei Wochen hat der 58-jährige Berner Künstler auf dem Mittelmeer verbracht, um sich mit seiner Crew an das Boot zu gewöhnen und zu trainieren für die grosse Weltumseglung im Dienste eines langfristigen, nachhaltigen Müllmanagements. Im Moment gibt er in Marseille einen Workshop am Lycée Arthur Rimbaud. «Es ist ja grundsätzlich ein Projekt, das sich an die kommende Generation richtet», sagt er.

Am 20. September geht es los in Marseille, der in Bern domizilierte Verein G-Cubes hält eine Medienkonferenz ab; tags darauf werden, sofern die Wettervorhersagen gut sind, die Segel gesetzt. Das Schiff wird Teil einer 25 Segelboote umfassenden Flotte sein auf einem vom World Cruising Club organisierten Törn. Der von Harald Reichenbach im September 2014 gegründete Verein G-Cubes will über ein konzeptionelles Kunstprojekt auf den Plastikabfall in den Ozeanen aufmerksam machen und die Verursacher zum Handeln bewegen. «Wir wollen einen Beitrag leisten, der die Lösung des Abfallproblems vorantreibt», sagt Reichenbach. Deshalb mache G-Cubes den Spagat zwischen Kunst und Ökonomie: «Wir sammeln über Kunst Geld für nachhaltige Projekte.»

Am Schluss ein Mahnmal

Und so soll es gehen: Entlang der Segelroute wird regelmässig an Stränden angespülter Abfall gesammelt und direkt vor Ort mithilfe einer mobilen Apparatur gepresst. Die Fundstellen werden fotografisch dokumentiert, die komprimierten Müllwürfel in einem Trocknungsbehälter auf dem Schiff aufbewahrt; jeder Würfel wird mit einer Plakette versehen, auf denen die Koordinaten der Fundstelle sowie eine Nummer stehen. Konserviert wird der Müllwürfel, indem er in einen Kubus aus Harz gegossen wird: einen G-Cube. Diese Kunst aus Meeresabfall hat durchaus eine ästhetische Dimension: Es entstehen hinter «Glas» skulpturale Formationen, schillernde Farbsinfonien oder reliefartige Oberflächenstrukturen.

«Jeder G-Cube ist ein handgemachtes Einzelstück», sagt Reichenbach, der im vergangenen Mai im Rahmen einer Projektwoche mit einer Klasse des Berner Laubegg-Schulhauses bereits Prototypen in der Originalgrösse von 10 x 10 x 10 Zentimetern hergestellt hat. Während der Weltumseglung ist geplant, dass 400 Würfel produziert und unterwegs zum Verkauf angeboten werden. Weitere 1000 Würfel werden für die 2019 geplante Schlussausstellung zurück in die Schweiz geschickt und dort gegossen. «Wir bringen den Abfall zurück zum Verursacher. Die einzelnen Würfel werden zu einem monolithischen Ganzen zusammengestellt», sagt Reichenbach, «es soll ein Mahnmal werden, ein Kubikmeter Müll aus tausend kleinen Müllwürfeln.»

Den Kreislauf schliessen

Die Hälfte des durch den Verkauf eingenommenen Geldes will Reichenbach für Projekte einsetzen, die nachhaltiges Müllmanagement betreiben. «Wir planen nächstes Jahr eine erste Strandräumungsaktion auf den zu Panama gehörenden San Blas Islands in der Karibik, gemeinsam mit der dort lebenden Community der Kuna-Indianer», erzählt Reichenbach.

Den Grundgedanken von G-Gubes, in dessen Beirat unter anderen der Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried und Rechtsprofessor Thomas Cottier sind, bringt Reichenbach so auf den Punkt: «Der Müll bezahlt seine Entsorgung. Wenn wir diesen Kreislauf geschlossen haben, sind wir am Ziel.» Die finanzielle Situation des Vereins präsentiert sich allerdings derzeit noch nicht befriedigend. Reichenbach glaubt, dass diverse Absagen von Stiftungen eine Folge der Mehrdimensionalität des Unternehmens seien: «Wir sind mit unserem Projekt zwischen Stuhl und Bank. Kunststiftungen verweisen uns an die Umweltstiftungen; diese wiederum sehen in uns in erster Linie ein Kunstprojekt.»

Der als Kunstmaler bekannt gewordene Reichenbach kam vor einigen Jahren auf einem Segeltörn von Gibraltar in die Karibik erstmals mit der Thematik in Berührung: «Eigentlich wollte ich damals nur Segeln lernen und die Kunst mal einige Zeit ruhen lassen, aber während dieser vier Monate sind wir täglich mindestens dreimal an schwimmenden Plastikabfallinseln vorbeigekommen.» Die Verschmutzung der Meere liess ihn nicht mehr los. Später beobachtete Reichenbach Kinder am Strand, welche die farbigen Plastikpartikel als natürlichen Bestandteil des Sandes wahrnahmen. Die Machtlosigkeit der örtlichen Bevölkerung, die Müllschwemme zu bewältigten, bewog ihn dazu, etwas zu unternehmen.

Abenteuer und Aufklärung

Die Zeit bis zum Start in Marseille gilt es zu nutzen. Kurz kommt Reichenbach noch in die Schweiz, um am kommenden Dienstag im Schloss Köniz an einer Veranstaltung seines Vereins teilzunehmen. Eine begleitende Veranstaltungsreihe soll das Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Geplant sind unter anderem Kooperationen mit Energie Recycling Bern (ERB) und eine Putzaktion im Wohlensee. Weiter wird ein Film das Projekt dokumentieren. Ein längerer Dokumentarfilm über das Abenteuer ist ebenfalls in Planung, der 2019 auf SRF ausgestrahlt wird.

Unterwegs sind ebenfalls Events und Ausstellungen geplant, so etwa in Las Palmas auf den Kanarischen Inseln und in Santa Martha an der kolumbianischen Küste. Die Reise wird durch den Panamakanal weitergehen und über den Pazifik an der Nordküste Australiens vorbei in den Indischen Ozean. «Ob wir durch den Golf von Aden und den Suezkanal segeln werden, ist noch offen», sagt Reichenbach. Im Moment seien Abklärungen im Gange, ob diese Route wegen der Hochsee-Piraterie ein zu grosses Risiko berge. Das Ganze sei zweifellos ein Abenteuer, räumt Reichenbach ein. «Aber wir können auch einen Beitrag leisten, indem unser Projekt Aufklärung betreibt und Menschen im Kampf gegen die Verschmutzung unterstützt.»

Start der Event-Reihe und Präsentation des Projekts: 12. September, 19 Uhr, Schloss Köniz. Mehr Informationen: www.g-cubes.com.

(Der Bund)