BE-Post-Kolumnistin Sandra Rutschi ist eigentlich gerne digital unterwegs. Mit einer kleinen, aber lebenswichtigen Ausnahme.
Kolumne von Sandra Rutschi / bernerzeitung.ch
Liebe Google-Kalender-Fans und Microsoft-Outlook-Nerds
Ich weiss, ihr werdet mich auch in diesem Jahr wieder auslachen. Denn während ihr euren digitalen Kalender auf eurem Smartphone aufruft, krame ich in meiner Handtasche nach einem Buch. Es nennt sich Agenda und besteht aus diesem Material, das manche am liebsten ganz aus unserem Leben verbannen möchten: Papier.
«Dass es so was überhaupt noch gibt!», ruft ihr dann, und: «Ein digitaler Kalender ist doch viel praktischer!»
Nun, das mag in gewissen Lebensumständen sogar stimmen. Etwa, wenn man eine Familie hat, die wie ein kleines Unternehmen funktioniert, und deshalb den Kalender mit anderen Mitgliedern synchronisieren will. Oder wenn man als begeisterter Workaholic auch privat ständig auf seinem digitalen Arbeitsplan herumhängen möchte. Oder weil man auf möglichst wenig Platz das Leben allzeit im Griff haben will.
Doch zu welchem Preis, liebe digitalen Planerinnen und Planer? Ihr verzichtet nicht nur auf eure Privatsphäre und Freiheit, wenn alle über eure Termine Bescheid wissen und ihr euch entweder fremdbuchen lassen oder eine gute Entschuldigung für jeden unverplanten Slot finden müsst. Ihr opfert nicht bloss die sagenhafte Übersicht, die eine Papieragenda bietet. Nein – ihr entsagt auch einem Ritual, das dem Leben Seele einhaucht.
Es beginnt spätestens im Oktober. Das alte Jahr neigt sich langsam dem Ende zu, und in den Buchhandlungen und Papeterien liegen wieder diese schönen Bücher auf. Sie glitzern und leuchten in den Gestellen, locken mit Blumenmustern, Ornamenten oder kräftigen Farben.
Irgendwann weiss ich jeweils: Das ist sie. Meine Papieragenda. Und so wie sie wird das neue Jahr. Grün mit Schmetterlingen und Schneeglöckchen, Blau mit silbern glänzenden Schnörkeln, Knallrot, Sonnengelb oder Edelschwarz. Wer eine Papieragenda kauft, hat sich zum ersten Mal in das verliebt, was nach Silvester kommt. Was auch immer das sein mag.
Mit dem ausgehenden Jahr wächst dann die Vorfreude, denn langsam füllt sich das Buch. Als Erstes trage ich Geburtstage ein, notiere wichtige Adressen, meine Blutgruppe. So liegt das Buch auf dem Salontisch, bis die Termine des neuen Jahres keinen Platz mehr in der knappen Folgejahr-Übersicht der alten Agenda finden.
Spätestens im Dezember kommt deshalb der Moment, alles in die neue Agenda zu übertragen: Verabredungen, Ferien, Deadlines, Tanzworkshops. Das neue Jahr nimmt Form an und rückt in den Fokus, während im alten immer weniger Seiten übrig bleiben. Es ist die Zeit, in der ich stets mit zwei Agenden unterwegs bin. Die eine führe ich zu Ende, die andere beginne ich.